In »TINA oder über die Unsterblichkeit« läßt Arno Schmidt einen Schriftstellerkollegen (Christian August Fischer – als Gedankengast) sagen: »Schriftsteller – lieber zeitlebens Scheiße schippen«, was zwar eine hübsche Alliteration ist, aber ansonsten grober Unfug. Wie so viele andere Schreibstübler ahnte Schmidt wohl, was er an der warmen Stube hatte, obgleich er nie mit der Schippe in der Scheiße stehen mußte. Jedenfalls verließ er die Schreibstube kaum einmal. Selbst als Soldat im Krieg. Später dann allerdings gelegentlich zu Spaziergängen.
Tirade 199 – Mundgewächse
Macht mich nicht worttot
wenn er mir den Mund ausräumt
beim Wörterpflücken
der lärmende Tageswind
schnell wachsen die neuen nach
Tirade 198 – Entblenden
Leicht zu verlernen
das Eintauchen in sich selbst
die kleinen Fluchten
vorm künstlichen Tageslicht
in die dunklen Gewölbe
Tirade 197 – Herumkommen
Man fährt viel im Kreis
beim Reisen auf den Straßen
und im eignen Kopf
viele kommen weit herum
auf gepflasterten Wegen
Tirade 196 – Zeitweilige Flucht
Sei wie das Wasser
Über die Ufer treten
zur Zeit beizeiten
entfliehe den Kanälen
flute die Gewöhnlichkeit
Der Bart ist ab
An der Leipziger Uni dürfen sich auch die gliedtragenden Mit-Glieder des Lehrkörpers Professorin oder Dozentin nennen, ohne sich vorher einer Kastration unterziehen zu müssen. Das wird die meisten Herren Professorinnen sicher über alle Maßen freuen. Zum Dank für diese nette Geste werden sie bestimmt zu besonders glühenden Verfechtern der Frauenrechte, wenn nicht gar zu Feministinnen werden.
Sitzen bleibend sitzenbleiben
An der Universität Bielefeld hat man herausgefunden, daß deutsche Jugendliche bewegungsfaul sind. Vielleicht ist eine der Ursachen dafür, daß man sie häufig lieber sitzenbleiben läßt, als sie ausreichend zu motivieren und zu fördern. Wer sowieso sitzenbleibt, bleibt lieber sitzen, als etwas zu tun.
Stil am Stiel
Aus einem Romanmanuskript: „Blinddarm ist ja heutzutage kein Beinbruch mehr.“
Broderei 1 – Sprachgefühl
Henryk M. Broder, einer der originellsten Schöpfer absurder Vergleiche und Schiefhänger von Bildern, wird allgemein heftig überschätzt, vor allem von sich selbst und gerade dann, wenn es um die sprachlich-gedankliche Qualität seiner Verlautbarungen geht. Er gilt weithin als begnadeter Formulierer, was mich doch sehr überrascht. Sein größter Fan, er selbst, spricht darüber hinaus gern anderen die sprachliche Kompetenz ab und redet zum Beispiel von »erbärmlichem Deutsch«, wenn jemand etwas zwar nicht übermäßig elegant formuliert hat, aber doch wenigstens gedanklich und sprachlich nachvollziehbar und ohne bedenkliche Fehler, wie sie gerade mal wieder in Broders Beitrag über Claudia Roths Eigentümlichkeiten ins Gesicht fallen.
Er schreibt in diesem Artikel über dies und das, was mit der Sache – »High five« mit einer »Dikatur« (sic!) – wenig bis gar nichts zu tun hat, und man merkt dabei, daß er es mit dem eigenen Denken und seiner Sprache nicht allzu genau zu nehmen in der Lage ist. So etwa, wenn er das Schicksal der ehemaligen Ministerin Schavan beklagt: »nachdem ihr der Doktortitel aberkannt wurde, den sie vor über 30 Jahren gemacht hat«. Nun, man kann – umgangssprachlich – »seinen Doktor machen«, ja, das kann man, mit oder ohne Ernsthaftigkeit, aber einen Titel macht man nicht. Wenn Broder Sprachgefühl hätte, dann hätte jemand oder etwas von innen bei ihm an die Hirnrinde klopfen müssen bei solch einer Formulierung. Oder dabei: »Die flapsige Bemerkung eines älteren Herren an eine junge Journalistin«. Eine »Bemerkung an« jemanden? Ich kann das Wort an jemanden richten, also eine Bemerkung machen, doch ebensowenig, wie ich dann ein Wort an diesen »gemacht« habe, habe ich eine Bemerkung an ihn »gerichtet«. Jede Sprache hat ihre Feinheiten, und man sollte sie kennen, wenn man andre sprachlich kritisiert.
Daß Broder außerdem findet, ein Video sei »unmißverständlich«, wo doch jeder weiß, wie Bilder lügen und trügen, und daß er den Terminus »gesundes Volksempfinden« ohne Anführungszeichen gänzlich unironisch benutzt: »Früher hat das gesunde Volksempfinden entschieden, was ein Skandal ist, heute ist es die Parteizugehörigkeit«, das gibt zu denken. Überdies ist diese Aussage inhaltlich falsch, versteht sich. Ein Skandal ist, früher wie heutzutage, das Verhalten von ANDEREN, nicht das eigene. Das ist nichts Neues, das war schon immer so. Deshalb die Frage in Matthäus 7.3, die Sache mit dem Splitter und dem Balken.
2013
Die Welt
Jenseits der Saufkultur
Der Bundestag hat gerade gerade das Gesetz zum veränderten Umgang mit Cannabis beschlossen. Die Bierzeltstrategen allerorten, besonders im süddeutschen Raum, schäumen mit ihren Getränken um die Wette und kündigen härtesten Widerstand gegen diesen eklatanten Verstoß gegen die deutsche Leitkultur an, während einige Vertreter der hiesigen Brauindustrie in ihren Laboren bereits so heimlich wie widerwillig erste Experimente mit Cannabisbier durchführen. In anderen Ländern ist man schon etwas weiter. Wenngleich …
In der Presse ist jetzt viel vom Kiffen und von Kiffern die Rede, und bei Schnaps und Bier wird gern über die Gefahren des Marihuanakonsums schwadroniert und nur selten davon berichtet, was der Internist letztens über den bedenklichen Zustand der eigenen Leber gesagt hat und daß Sohnemann oder das Töchterchen vorige Woche nach dem Rauschtrinken, wie es offiziell heißt, wieder mal in der Notaufnahme gelandet ist.
Wenn es um den Konsum der Droge Alkohol geht, die von ernstzunehmenden Wissenschaftlern für die gefährlichste Droge überhaupt gehalten wird, schlimmer noch als Heroin und Crack, ist man hierzulande bei deren Verharmlosung um keinen Euphemismus verlegen: Beim Alkoholkonsum spricht man nicht von Säufern und vom Saufen. Da wird (gesittet) getrunken, es darf genossen werden, oder man gönnt sich ein Bierchen oder ein Gläschen Wein. Beim Cannabiskonsum dagegen unisono die depretiative Keule hinter dem Rücken: Es wird von Kiffern gekifft. Schrecklich. Mit Pejorativa, also Sprachmißbrauch, gegen vermeintlichen Drogenmißbrauch. Alles ist recht, denn ei n Teil der Leitkultur, die Saufkultur, ist in Gefahr.
Den Ball flach halten
Fein sein, klein sein, das wäre wahre Größe. Die Aufforderung, demütig zu sein, ist leider allzu oft nicht Ausdruck des legitimen Wunsches, man möge die Entfaltung des eigenen Egos ein wenig dämpfen, sondern vielmehr das Verlangen allzu Machtbewußter, ihrem hypertrophierten eigenen Ego mit Unterwürfigkeit zu begegnen.
Ein gutes Beispiel für diesen Psychoschwindel ist die autoritäre Praxis so mancher weltlichen Autokraten im Amt oder in Ausbildung. Die Blaupause für solche Herrschaftstechnik liefern von jeher die Hierarchen der katholischen Kirche. Wenn die Wölfe den Schafen predigen …
Tirade 192 – Späte Stunde
Nicht steigend im Kurs
Auf den sinkenden Schiffen
die Segelmacher
ohne günstige Winde
kurzer Weg zu den Fischen
Katholische Merkwürdigkeiten
Neben anderem dogmatischen Firlefanz: Eine Frau könne die Beziehung Christi zu seiner Braut, der Kirche, nicht sakramental-symbolisch sichtbar machen, erklärt der neue Chefdogmatiker des Vatikans, ein gewisser Herr Müller, angesprochen darauf, warum nur Männer im Weihrauchnebel das große Wort führen dürfen. Nun ist mir egal, wer in der katholischen Kirche mit Kultgegenständen hantiert, aber eine solche Aussage erscheint mir schlicht nicht nachvollziehbar. Wenn man das Braut-Bräutigam-Motiv bemüht, dann wäre doch eine Frau die bessere Wahl für den Bräutigam Jesus als ein bestenfalls schwuler männlicher Priester. Ein Priester als Braut ist doch eher karnevalesk, selbst wenn seine Kleidung ein wenig an ein schwülstiges Brautkleid erinnern mag. Die Kirche als Braut soll sich, wie im Epheserbrief nachzulesen ist, dem Bräutigam Jesus unterordnen, denn »der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist«. Daraus abzuleiten, ein Mann könne besser eine Braut symbolisieren als eine Frau, ist in höchstem Maße lächerlich.
Und was der Erzdogmatiker über eine angebliche Pogromstimmung gegen Katholiken sagt, das ist eine Unverschämtheit, wenn man bedenkt, daß die von Herrn Müller geleitete Behörde mal als »Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis« (»Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition«) angefangen hat, als »Säuberungs«instrument einer Kirche, die zu den Hauptverantwortlichen für ein Klima gehört, in dem Pogrome gegen Juden an der Tagesordnung waren. Als geschichtsbewußter Kirchenvertreter sollte man deshalb derartige Wörter besser nicht in den Mund nehmen, es sei denn in selbstkritischer Absicht.
Mir ist nicht bekannt, daß Katholiken jemals aufgefordert wurden, auch um ihre Identifizierung bei Pogromen zu erleichtern, farbige Ringe auf ihrer Kleidung zu tragen.
2013
Sinn-Wahn
Der schlimmste Wahnsinn ist der Sinn-Wahn.
Dummdreisterei
Die Jury in Darmstadt hat diesmal wieder eine Wortverbindung gefunden, die in den Katalog der unanständigen, politisch inkorrekten Komposita aufgenommen werden soll: »Opfer-Abo«. Kannte bislang so gut wie keiner, wird jedoch durch die Wahl zum »Unwort des Jahres« nun bekannt werden und dann auch öfter zu hören sein. Tatsächlich hatte es vorher bereits jemand verwendet: einmal, glaube ich. Für mich ist die Entscheidung der Jury ein einzigartiger Fehlgriff und eine grandiose Dummdreisterei. Mit Sprachkritik hat das nichts zu tun. Genaugenommen ist die Wahl nichts weiter als eine politideologische Stellungnahme. Wer weiß, vielleicht erfindet man im nächsten Jahr selbst ein Wort passend zur Absicht, jemanden zu diskreditieren. Wozu die tatsächlich gesprochene und geschriebene Sprache beobachten? Sicher kommt auch wieder eine schöne Anregung von Frau Schwarzer. Die hat doch bestimmt ein Abo bei der Empfehlungssammelstelle.
Wider die naive Sprachbetrachtung
In dem Artikel »Wider die Verwaltung der deutschen Sprache« schrieb ein Herr Rainer Marx in der Welt über die überbewertete Rechtschreibung und die »Mäkelei der Hobby-Orthografen«, die ihm bitter aufstößt, wie es scheint, ihm, der sich als Sprachexperte und als Berufsorthograph von den Laien absetzen möchte. Wen er mit »Hobby-Orthografen« meint, weiß ich nicht, denn er bleibt leider im allgemeinen. Vielleicht ist der Artikel eine Art Selbstgespräch.
»Über die formalen Aspekte des Deutschen wird seit der Rechtschreibreform ausgiebig diskutiert. Auf orthografische Richtigkeit zu pochen, bringt aber nur eins zum Vorschein: den ewigen Autokraten.«
Nun wurde schon immer über formale Aspekte der Sprache diskutiert, tatsächlich auch ausgiebig, denn das Reflektieren über Formales gehört zu jeder Sprache dazu, und deshalb gibt es Studiengänge wie Linguistik und Sprachphilosophie – nicht erst »seit der Rechtschreibreform«.
Zum »ewigen Autokraten«: Ist es nicht vielmehr ein Zeichen autokratischen, selbstherrlichen Verhaltens, orthographische Richtigkeit geringzuschätzen und zu schreiben, wie es (aus den Tiefen der eigenen Herrlichkeit) gerade kommt? Ein schönes Beispiel dafür: »Grosser Bewunderer von Angela Merkel! Ich bin sehr stolz und werde Patriot,als Sie Friedensnobelpreis gewonnen hat !!!«, twitterte Boris Becker.
»Um es gleich anfangs zu sagen: Ja, korrekte Orthografie ist wünschenswert, manchmal sogar wichtig. Es gibt sogar Fälle, da ist sie entscheidend. Aber insgesamt gesehen ist sie nicht annähernd so relevant, wie es die öffentliche Diskussion während der letzten zehn Jahre glauben machen will.« »Wünschenswert«, »wichtig«, »manchmal … entscheidend«. Nanu, wieso das? Und weshalb gleichzeitig »nicht so relevant«?
Übrigens: »Die Diskussion« will etwas glauben machen? Eine Diskussion kann einen Eindruck erwecken, etwas »glauben machen« kann jedoch nur jemand, der eine dahingehende Absicht hat, also ein Teilnehmer der Diskussion. Unscharfes Denken ist schlimmer als fehlerhafte Rechtschreibung, aber manchmal ist das eine auch die Ursache des andern.
»Da führen wir Deutschen über Jahre einen Feldzug gegen die Buchstaben, reformieren eine Rechtschreibung, deren Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig ließ, nur um die Reform dann noch einmal zu reformieren und als Ergebnis einen Kompromiss zu verabschieden, dessen Konsistenz zweifellos sehr zu wünschen übrig lässt.«
»Wir Deutschen?« Ein Haufen Dummköpfe sind nicht »die Deutschen«, und ein »Feldzug gegen die Buchstaben«? Welch eine metaphorische Fehlleistung. Tatsächlich war es doch so, daß beamtete Sprachdilettanten mit der Streubüchse umherliefen und es zusätzliche Buchstaben regnen ließen. Ein paar Beispiele: »Tipp« statt »Tip«, »Karamell« statt »Karamel«, »Brennnessel« statt »Brennessel«; jetzt wird auch »selbstständig« statt »selbständig« rumgemacht, nur »nummeriert« statt bisher »numeriert« und so weiter und so fort. Man hat jetzt ein Ass im Ärmel und ein Teeei in der Kanne: Feldzug gegen die Buchstaben?
»Dabei ist Rechtschreibung nur ein Teil der Sprache.« Wer hätte das gedacht? »… zumal einer, der sich in seiner Verbindlichkeit ausdrücklich nur an Schulen und die staatliche Verwaltung richtet.«
Ein »Teil der Sprache«, der sich an jemand oder etwas richtet? Die Sprache ist ein Ganzes, und sie wird zum Zwecke der Betrachtung von Wissenschaftlern oder andern Interessenten in Teile zergliedert. Dieser Analysevorgang führt jedoch nicht dazu, daß »Teile« sich selbständig machen und zu kommunizieren beginnen.
»Eines ist sicher: Wo die Rechtschreibung regiert, ist es mit der Kreativität nicht weit her. Statt auf die bildliche und metaphorische, kurzum die sinnliche Kraft der Sprache zu setzen, reduzieren wir sie auf richtige Schreibung und klammern uns daran wie an eine Hoffnung.«
Eine vollmundige oder sagen wir besser großmäulige Behauptung ohne jeden Beleg. Ich glaube nicht, daß Rechtschreibung und Kreativität etwas gegeneinander haben, es sei denn, jemand hält es für kreativ, »creatif« zu schreiben.
Und die »metaphorische Kraft der Sprache« kann einer, der einen »Feldzug gegen die Buchstaben« sieht, für sich selbst nicht nutzen, geschweige denn beurteilen.
»… eine ganze Armee von Hobby-Orthografen« ist mit ihrem »Halbwissen« (jedes Wissen ist Halbwissen) am Werk und stört die Kreise der kreativen Schreiber, »mäkelt … sich ins öffentliche Bewusstsein«. Und sie »eiern als Revenants der vermeintlichen deutschen Bildungskatastrophe durch die Geschichte«. Mäkeln. Eiern. Ja, Herr Marx, die Sprache gehört allen gleichermaßen, und jeder darf mäkeln und eiern und es besser wissen, wenn er es besser weiß. Auch der »Mensch von Sprache« kann sich nämlich irren und in »inkonsistenten Metaphern« verlieren. So wie Sie, Herr Marx.
Der lose Geist
In der Werbung für eine neue deutsche Übersetzung einer Autobiographie von Gertrude Stein aus dem Jahr 1933, die vor kurzem (2021) in einem Berliner Verlag erschienen ist, lese ich ein verändertes Zitat von Gertrude Stein: »Einstein war der kreative philosophische Geist des Jahrhunderts und ich war die kreative literarische Geist des Jahrhunderts.»
Im Original und in damaligen Übersetzungen heißt es natürlich nicht »die Geist«. Und vermutlich wird man in früheren Übersetzungen ein Komma vor dem und finden. Rechtschreibreform und Geistlosigkeit sind neueren Datums.
Brilon gegen rechts
Das Problem mit dem Partizip beim Gendern
Sprachunkundige aller bisher bekannten Geschlechter versuchen sich mit unterschiedlichem Erfolg darin, in den oralen Medien eine angemessene Länge oder Breite des Hiatus beim akustischen Ersatz des Genderasteriskus oder verwandter graphischer Geschlechtertrennungszeichen hinzubekommen. Da solches häufig auf unfreiwillig komische Weise mißlingt, geht man (!) mittlerweile immer öfter dazu über, substantivierte Partizipien zu verwenden. Ein Beispiel: Mitarbeiter aller Geschlechter werden dabei zu Mitarbeitenden oder Lehrer zu Lehrenden, Sprecher zu Sprechenden und so weiter.
Leider zeigt sich bei solchem sprachlichen Tun, daß die Sprachunkundigen nicht nur sprachunkundig sind, sondern auch alles andere als logikaffin. Vor kurzem hörte ich eine Sendung im Radio, in der wortreich beklagt wurde, daß die Zahl der Krankheitstage bei den Mitarbeitenden massiv zugenommen habe. Ein Vertreter der sogenannten Arbeitgeberverbände, der anfangs noch von Mitarbeitern sprach, lernte schnell und war dann auf Linie und meinte, die Mitarbeitenden hätten noch nie so viele Tage wegen Krankheit gefehlt wie im letzten Jahr. Zum Schluß war er allerdings wieder bei Mitarbeitern. So schnell gelernt, ebenso schnell wieder verlernt. Die Macht der Gewohnheit.
Nun sagt mir mein logisches Verständnis, dass kranke Mitarbeitende keine Mitarbeitenden sein können, es sei denn, sie gehören zur Minderheit, die von zu Hause aus arbeiten kann, und es hat sie nicht so schwer erwischt, dass sie nicht den Laptop mit ins Bett oder aufs Sofa nehmen können. Aber dann werden sie sich nicht krankmelden. Der Normalfall wird deshalb wohl sein: Kranke Mitarbeitende kann es nicht geben, weil man nicht arbeitet, wenn man krank ist. Auch die Malenden sind nur Malende, wenn sie malen, und nicht, wenn sie essen oder schlafen. So wie die Schlafenden nach dem Aufwachen keine Schlafenden mehr sind. Ist doch logisch – oder etwa nicht?
Sprachlich ist dieser Umstand seit eh und je grammatikalisch geregelt: Ein Unterzeichner ist nur sehr kurz ein solcher, nämlich für die Zeitspanne des Unterzeichnens. Danach, wenn die Tinte beim Trocknen ist oder bereits getrocknet, ist der unterzeichnende Unterzeichner zum unterzeichnet Habenden, kurz: zum „Unterzeichneten“ geworden.
Mangel
Die meisten Kunstkritiker sind durch Mangel an Talent verhinderte Künstler.